Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von Nikola-reinartz.de und Nikolaus-reinartz.de





Die Gründungssage von Mariawald
Von Dr. Reinhold Heinen (Berg vor Nideggen)

In Nr. 13 der „Heimatblätter“ nimmt Pfarrer Nikola Reinartz (Kreuz=Weingarten) Stellung zu meiner Untersuchung über die Gründungsgeschichte von Mariawald und die Herkunft des jetzigen Heimbacher Gnadenbildes, bei der ich bekanntlich zu dem Ergebnis kam, daß das Heimbacher Gnadenbild bei dem Bau der ersten Kapelle und der Gründung des ersten Klosters in Mariawald noch nicht vorhanden war und daß der schönen Legende von Heinrich dem Fluitter die geschichtliche Grundlage fehlt. Ich habe mich zu der temperamentvollen Entgegnung des inzwischen leider verstorbenen P. Cyrillus Goerke, mit dem ich noch wenige Tage vor seinem Tode mich über diese Fragen unterhalten habe, seinerzeit nicht sofort geäußert, weil seine Darlegungen keine wesentlichen neuen Tatsachen und Gesichtspunkte beibrachten. An sich scheint mir auch eine sofortige Stellungnahme zu dem Aufsatz von Pfarrer Reinartz – trotz der darin enthaltenen neuen Angaben und Erwägungen – nicht notwendig. Da aber ein weiteres Stillschweigen als Zustimmung ausgelegt werden könnte, erscheint eine vorläufige Antwort geboten.

Es ist zu begrüßen, daß Pfarrer Reinartz einige neue Angaben aus dem Material des Düsseldorfer Staatsarchivs zur Anfangsgeschichte Mariawalds mitteilt und auf das (mir übrigens längst bekannte) Schriftstück in den „Farragines“ des Gelenius im Kölner Stadtarchiv hinweist, sowie einige weitere Belege für die historische Existenz des Landschreibers Michel beibringt, die Prof. Dr. Lennarz inzwischen schon aus den Akten des Nideggener Stadtarchivs nachgewiesen hatte (Heimatblätter, 1934, S. 200).

So sehr ich die Verdienste und Erfolge von Pfarrer Reinartz um die Aufhellung der Geschichte des alten Klosters Mariawald und um die Auffindung der nach England verschleppten Glasgemälde desselben schätze, so wenig vermag ich seinen Ausführungen zu folgen. Um so mehr als sein Aufsatz offensichtlich in einer Ebene liegt, auf die ich ihm nicht folgen will, nämlich mit Mittel der historischen Wissenschaft einen „Anspruch“ des heutigen Trappistenklosters Mariawald auf das Heimbacher Gnadenbild zu beweisen, eine Aufgabe, die sich bekanntlich auch P. Cyrillus Goerke gestellt hatte. Ich lehne es ab, die Diskussion über die Gründungsgeschichte von Mariawald, an deren Aufhellung ich ausschließlich aus heimatgeschichtlichem Interesse und ohne jede Nebenabsicht herangegangen bin, irgendwie mit der Frage des rechtlichen oder moralischen „Eigentums“ an dem Heimbacher Gnadenbild in Verbindung zu bringen.

Für mich kam und kommt es ausschließlich auf die wissenschaftliche Aufhellung geschichtlicher Tatbestände an, unabhängig davon, ob das dabei gewonnene Ergebnis mir gefällt oder nicht, ob es Jemandem nutzt oder schadet. Ich gestehe sogar, daß ich selbst jahrzehntelang die angeblichen Aufzeichnungen Radermächers für wahr gehalten habe, die ich schon vor bald 25 Jahren zur Grundlage einer kleinen Schrift über das Heimbacher Gnadenbild gemacht hatte. Ich gebe auch zu, daß ich zunächst den bei näherer Prüfung der Unterlagen auftauchenden Zweifeln an der historischen Wahrheit der Fluitter=Legende nur mit innerem Widerstreben nachgegangen bin, weil es auch mir schmerzlich war, dieser schönen Legende, die mir von Jugend an lieb und vertraut war, mit dem Seziermesser wissenschaftlicher Untersuchung zu Leibe gehen zu müssen.

Zur Sache selbst kann ich mich kurz fassen: Die Darlegungen von Pfarrer Reinartz vermögen das Ergebnis meiner Untersuchung nicht zu erschüttern, trotz der durch seine neuen Feststellungen gegebenen Ergänzungen und Berichtigungen in Einzelheiten. Auch der mit dem Fragengebiet weniger Vertraute wird bei einem kritischen Vergleich meiner Aufsätze mit seinen Ausführungen die vielen und entscheidenden Lücken erkennen, die Pfarrer Reinartz offen läßt. Ich werde zu gegebener Zeit an Hand weiteren Materials auf die Gründungsgeschichte von Mariawald zurückkommen.

Ein knapper Hinweis sei jedoch gestattet: Es ist völlig abwegig, die in den „Farragines“ enthaltene Niederschrift als eine „Abschrift“ der sog. Radermächerschen Urkunde zu behandeln, wie das Pfarrer Reinartz tut. Es unterliegt gewiß keinem Zweifel, daß die Aufzeichnungen im Heimbacher Bruderschaftsbuch (also die angebliche Urkunde Radermächers) und die Abschrift der „Farragines“ auf ein und dieselbe Vorlage zurückgehen. Das Fehlen der langen Erzählung über die persönlichen Beobachtungen Radermächers und seines Vetters (die drei letzten Absätze der Abschrift im Bruderschaftsbuch) in dem Kölner Aktenband müßte Pfarrer Reinartz doch auffallen und ihn vor der Behauptung bewahren, daß darin (bezw. in der pervetusta tabula) „das Original von der Hand des Landschreibers (zu) erblicken“ ist.

Einige andere Gesichtspunkte seien nur am Rande vermerkt: Wenn Reinartz meint, die Zeit vom Tode Heinrichs des Fluitters (ca. 1450) bis 1523 (Datum der angeblichen Urkunde Radermächers) bezw. 163 ... (Datum der Kölner Abschrift) sei „doch zu kurz für eine Sagenbildung“, so widerspricht das allen Erfahrungen der neuzeitlichen Sagenforschung, wie das von mir 1910–1912 mit Heinrich Hoffmann in Hausen aufgezeichnete Beispiel einer Sage beweise, die sich an einen Vorgang geknüpft hatte, der erst nach dem Heimbacher Burgeinsturz von 1904 sich ereignet haben konnte. (Man vgl. dazu auch die neueste Sagensammlung: Mathias Zender, Volkssagen der Westeifel, Bonn 1935) und vor allem die Einleitung (S. XXVII) zu der Sammlung desselben Verfassers „Volksmärchen und Schwänke aus der Westeifel“ (Bonn 1935); auch auf die „Eisenbahnsagen“ und „Weltkriegssagen“ ist in diesem Zusammenhang zu verweisen).

Im Gedankengang von Reinartz hat auch die Behauptung eine besondere Bedeutung, daß „alle marianischen Wallfahrtsorte“ ihren Ursprung entweder von dem Glauben an eine Erscheinung der Gottesmutter daselbst oder von einem wundertätigen Bilde derselben genommen“ haben. Auch diese Behauptung ist unzutreffend; sie wird von dem besten Kenner der marianischen Wallfahrten, dem Jesuiten Stephan Beissel, nicht geteilt. Im Gegenteil: Beissel sagt in seinem großen Werk „Wallfahrten zu Unserer lieben Frau in Legende und Geschichte“ (Freiburg 1913) sogar wörtlich (man muß sich dabei daran erinnern, daß auch das Kloster Mariawald von Zisterziensern gegründet worden ist): „Aber seit der zweiten Hälfte des Mittelalters begannen Wallfahrten zu Bildern der Gottesmutter mehr und mehr aufzublühen. Einen großen Einfluß auf die Entstehung solcher marianischen Wallfahrtsorte übten die Zisterzienser und neben ihnen die Prämonstratenser ... (S. 4). Jede Kirche dieser neuen Orden war Maria geweiht, jede hatte, wie fast alle Siegel der Zisterzienser, ein kunstvolles Marienbild ... Wie in Spanien, so wurden in allen Ländern der Christenheit Zisterzienserklöster gestiftet, an die sich eine Wallfahrt anschloß (S. 5) ... Die meisten Orden gingen noch weiter und stellten sich zur Aufgabe, ein bestimmtes, meist in ihrem Mutterhause hoch verehrtes Gnadenbild auch in den Kirchen ihrer übrigen Niederlassungen auf einen Altar zu erhöhen und durch eine Bruderschaft volkstümlich zu machen (S. 88f)“. Beissel, der zweifellos beste Kenner der Geschichte der Muttergotteswallfahrtsorte, stellt also als allgemeine Erscheinung fest, daß zuerst das Zisterzienserkloster vorhanden war, dieses ein Muttergottesbild aufstellte und sich daran die Wallfahrt anschloß – also genau dieselbe Reihenfolge, wie ich sie für Mariawald völlig unabhängig von Beissel, dessen Untersuchungen mir damals noch nicht bekannt waren, festgestellt habe!

Zunächst nur diese Hinweise, die sich aus dem Aufsatz von Reinartz selbst ergeben. Jedoch noch eine Bemerkung: Die ursprüngliche Fassung des Reinartzschen Aufsatzes, der historisch=kritische Erörterung und religiös=erbauliche Gesichtspunkte vermischt, scheint mir einen gewissen Unterton zu haben, als ob die Ergebnisse meiner Studien und deren Veröffentlichung der Verehrung des Heimbacher Gnadenbildes abträglich sein könnten. Ich befinde mich da in einer guten Gesellschaft: Der schon erwähnte Jesuit Stephan Beissel hat in dem genannten Buche in aller Offenheit über die oft unhistorischen Legenden, die sich um die Herkunft von Gnadenbildern und die Entstehung von Wallfahrtsorten ranken, gesprochen. Manche seiner Aussprüche könnten fast direkt für unseren Fall geschrieben sein: „In der Natur des Menschen liegt es, für Personen und Sachen, die er ehrt und liebt, womöglich einen ehrenvollen Ursprung zu suchen ... Diesem Bestreben verdanken viele Legenden ihren Ursprung, wenn sie von wunderbarer Auffindung oder Erwerbung, von merkwürdigen Schicksalen ihrer Bilder erzählen (S. 83) ... Fast regelmäßig sind Schriftsteller desjenigen Ordens, dem der Wallfahrtsort übertragen wurde, für seine Legende eingetreten ... Die meisten Orden gingen noch weiter und stellten sich zur Aufgabe, ein bestimmtes, meist in ihrem Mutterhaus hoch verehrtes Gnadenbild auch in den Kirchen ihrer Niederlassungen auf einen Altar zu erhöhen und durch eine Bruderschaft volkstümlich zu machen (S. 88f)“. – Man erinnert sich, daß das alte Kloster Mariawald von Bottenbroich aus gegründet wurde und daß die Mönche von Bottenbroich die Erinnerung an das dortige Gnadenbild derselben Schmerzhaften Mutter nach Mariawald mitbrachten. Man sieht auch sonst bei einem genaueren Studium des Beisselchen Buches immer wieder, daß das, was ich im Falle Mariawald nachgewiesen habe, in der Geschichte der Marienwallfahrten keineswegs eine besondere Ausnahme darstellt ...





Heimatblätter, Beilage zur Dürener Zeitung, Nr. 14, S. 105-106, 9.7.1936.


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